Saufen mit System

„Zu viel kann man wohl trinken, doch nie trinkt man genug.“

Nein, das war nicht Strindberg, sondern Lessing. Ob in Schweden zuviel oder gar falsch getrunken wird, darüber erhitzen sich die Gemüter seit Jahren. Besonderen Schwung nahmen die Streitigkeiten nach Schwedens Beitritt zur EU, denn durchschnittliche Europäer können über die hiesige Art, der Promille Herr zu werden, nur den Kopf schütteln.

Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein leicht unanständiges Geschäft. Sie wissen genau, dass Ihre Nachbarn, Kollegen und Verwandten auch dort einkaufen. Man packt Ihnen die (kräftig überteuerte) Ware in einen völlig neutralen Beutel, den alle auf der Straße sofort wiedererkennen. Mit anderen Worten – Sie fühlen, dass Sie eine unrechtmäßige Handlung begehen. Etwas Verbotenes. Sie nehmen an einer kollektiven Straftat teil, gemeinsam mit ca. 2 Millionen anderen Tätern. Dabei wollten Sie nur eine Flasche Wein zum Abendessen holen.

Warum kann der Schwede seinen Alkoholbedarf nicht wie alle anderen im Lebensmittelgeschäft decken? Warum wird er gezwungen, in einen Laden mit dem strengen Namen Systembolaget zu gehen, sich einen Nummerzettel zu ziehen, das vorhandene Angebot scheu in verschlossenen Vitrinen zu betrachten (in den größeren Orten hat man Selbstbedienung eingeführt, bei uns noch nicht) und schließlich seine Wünsche in das Ohr einer thekengesicherten Verkäuferin zu flüstern, die unweigerlich an eine Pharmazeutin erinnert? Warum ist der Alkohol so teuer, warum wird er Sonnabend mittag eingeschlossen und taucht erst am Montagvormittag wieder auf? Weil der Schwede nicht trinken kann. Meinen die schwedischen Behörden. Stimmt nicht, sagen die Befürworter einer liberalen Alkoholpolitik. Wie auch immer, für Ausländer ergibt sich ein anmutiges Bild.

Quartalssäufer stehen mit Generaldirektoren in einer wohlgeordneten Warteschlange, verheißungsvolle Bouteillen werden aus dunklen Schubladen zutage gefördert, verschämte Genießer verbergen die verdächtigen Beutel auf der Straße hinter dem Rücken. Trifft man Bekannte in der Warteschlange, überspielt man die Situation mit bemühten Witzen. Glücklich sind jene, die nahe der Fähranleger zum Kontinent wohnen. Hier gehört ein Kastenroller zur Grundausstattung jeden Haushalts, denn seit die erlaubten Einfuhrmengen deutlich erhöht wurden, reicht Omas alter Reisekoffer nicht mehr aus.

Für jene, die im Inland ansässig sind, gibt es zum Glück die Busreisen. Manchmal werden sie sogar mit einem touristischen Inhalt versehen, aber das ist natürlich alles nur Tarnung. Ein Schwede, der eine Wochenendreise nach Rostock macht, will Geistiges besorgen und schert sich nicht die Bohne um die historische Innenstadt. Im besten Fall weiß er hinterher, wie das Reiseziel hieß (und der Laden, wo er eingekauft hat).
Die Diskussion um den Alkohol bewegt alle skandinavischen Nationen mit unerschütterlicher Intensität, und wenn die EU nicht bald ein Machtwort spricht, dann wird man wohl ewig weiterstreiten.